Susanne Jakob, Reale Bilder. Fiktive und konkrete Bildmontagen / in: Katja Brinkmann – Bilder und Montagen, 2002 / Hrsg.: Heinrich Schmid GmbH & Co. KG, Reutlingen

Reale Bilder. Fiktive und konkrete Montagen.

Seit Mitte der neunziger Jahre hat die in Stuttgart und Berlin lebende Malerin Katja Brinkmann eine eigene künstlerische Position entwickelt. Diese bewegt sich zwischen autonomen Bildern, die im Atelier entstehen und architektur- oder situationsbezogenen Bildmontagen, die für konkrete Innenräume sowie für “öffentliche” Flächen im Außenraum konzipiert werden. Bei den Bildern und Bildmontagen, die aus beiden Werkhaltungen hervorgehen, arbeitet Katja Brinkmann innerhalb eines von ihr festgelegten Systems.

Aus der systematischen Beschränkung entstehen Bilder, die eine ähnliche Verfahrensweise, ein vergleichbares Formvokabular und ein ähnliches Prinzip der Farbzusammenstellung aufweisen. Häufig sind es geöffnete und geschlossene organische Großformen mit scharfen und unscharfen Rändern, die teils deckend, teils lasierend auf der Bildfläche aneinandergefügt werden. Obwohl die Künstlerin parallel und ohne Schichtung ihre Farbformen aufträgt, wirken die Bilder so, als ob sie aus einem farbfeldartigen Hintergrund zu einem komplexen Raumgewebe aus drei bis vier Schichten sich überlagernder organischer Farbformen und Farbringen aufgebaut worden wären. Einige Großformen scheinen nach dem Prinzip der Zellteilung weitere biomorphe Kleinformen in sich zu bergen, andere wiederum können mit planetarischen Konstellationen oder gar mit Stoffmustern der Designkultur der siebziger Jahre verglichen werden. Ganglienartige Farbschleifen und Farbringe schlängeln und schieben sich durch den Bildraum und verweben einzelne Farbformen mit dem jeweiligen Grund, beziehungsweise mit dem Hintergrund.

Als Malerin, die innerhalb des zeitgenössischen Diskurses arbeitet, verfügt Katja Brinkmann frei über Stile und Techniken, so dass einige Bilder im ersten Moment den Bonus der Vertrautheit besitzen, im nächsten Moment aber wieder irritierend andersartig und neu erscheinen. Die Aneignung unterschiedlicher Malstile und abstrakter Bildsprachen, die beispielsweise von konkret bis informell reichen können, bedeutet für Katja Brinkmann noch lange keine Verknüpfung mit deren Inhalten. Vielmehr werden diese vor allem bei den autonomen Atelierarbeiten parallel und ohne historische Bezüge auf der Bildfläche miteinander zu einem “neuen Bild” synthetisiert. Das Verschmelzen und gegenseitige Aufheben von Malstilen in den bewegten organischen, ellipsenartigen Großformen unterscheidet Katja Brinkmanns Malhaltung beispielsweise von der Zitierfreudigkeit der gerade vergangenen Postmoderne.

Bildmontagen für fiktive und konkrete Räume

Das in den autonomen Bildwerken ausformulierte Vokabular führt Katja Brinkmann auch in den raum- und situationsbezogenen Bildkonzepten fort . Die Anfänge dieser spielerisch fiktiven und zugleich auch anwendungsorientierten Strategie finden sich im Jahr 1998 und in der vom Württembergischen Kunstverein initiierte Ausstellung “Downtown und andere unbekannte Orte”. Katja Brinkmanns Beitrag zur Ausstellung “Downtown ” bestand in einem künstlich geschaffenen Wohnraum wie er beispielsweise auch auf Möbelmessen rekonstruiert wird. Doch anstelle der standardisierten Wohnwelt der Messekojen erzeugte Katja Brinkmann einen optisch vibrierenden Farbraum, den sie aus einem wandfüllenden Rapport von zwanzig farbintensiven Bildern, einem monochromen, orangefarbigen Veloursteppich, einer Sitzgruppe im Stil der siebziger Jahre mit Stereoanlage und Fernsehgerät sowie einem monumentalen Einzelbild mit den typischen organischen Großformen zusammenfügte. Obwohl es sich bei dieser Arbeit um einen konkreten Vorschlag für die Gestaltung eines Wohnambientes handelte, wird dessen Offenheit und auch eine Spur von Ironie durch den Titel “Und wovon träumst Du?” deutlich, mit dem die Künstlerin die Aufforderung verband, sich ein eigenes, erwünschtes Raumdesign zu imaginieren.

Der experimentelle und spielerische Charakter, den diese zweite Werkgruppe von collageartigen Entwürfen besitzt, wird auch am Beispiel des Leporellos “möglich” von 1999/2000 deutlich, in dem Katja Brinkmann Collagen für konkrete Innenräume und Außenraumsituationen entwarf. Kahle Betonwände im Esslinger Bahnhofsviertel, renovierungsbedürftige Fassaden und öffentliche Werbeträger werden großzügig vereinnahmt und im fiktiven Bilderspiel mit einer Struktur aus organischen Farbformen überzogen. Kräftige Komplementärkontraste wie Orangerot und Himmelblau, die mit bonbonsüßen Farben in den Geschmacksrichtungen Himbeer, Aprikose und Pfefferminz konterkariert werden, wirken als optische Attraktoren im grauen städtischen Alltag.

Die erste malerisch-plastische Umsetzung eines Entwurfs in einem realen Raum erfolgte dann im Jahr 1999 in der Galerie der Stadt Backnang. Es handelte sich dabei um eine flurartige Raumsituation, die die Malerin in Handarbeit mit einer Teppich-Intarsie von elf Metern Länge ausstatten ließ. Die exakt in die Architektur eingepasste Bodenarbeit bestand aus einzelnen Elementen mit einer ähnlichen Form-Grund-Konstellation, die aber in der Farb- und Formgebung variierten.

Das Ausstellungskonzept für die Projektreihe HS 2002

Schon bei diesem ersten Eingriff in einen konkreten Raumzusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit der Charakter und die Atmosphäre eines Ortes durch den konkreten malerisch-plastischen Eingriff verdichtet, neutralisiert, überblendet oder scheinbar verwandelt werden können. In diesem Zusammenhang stellt das Barockschloss Monrepos eine neue Herausforderung für die Künstlerin dar. Der fiktiven Aneignung von möglichen Orten folgt nun die reale Aneignung eines historischen Ambientes, in dem zufälligerweise die von Katja Brinkmann geschätzten ovalen und elliptischen Formen in den Stuckleisten und im Grundriss vorhanden sind. Für ihre malerisch-plastischen Eingriffe und deren Inszenierung wählt die Künstlerin typisch barocke Bau- und Gestaltungselemente aus, wie beispielsweise die Rotunde, die Enfilade sowie die mit vergoldeten Stuck- und Holzleisten gegliederten Wandflächen.

Für die Rotunde des Schlosses realisiert Katja Brinkmann nun erstmals eine ca. 100 qm große Bodenarbeit, die mit Unterstützung der Deutschen Linoleum Werke über digitale Verfahren hergestellt wird. Die monumentale Bodenarbeit, die dem ovalen Grundriss der Rotunde eingepasst wird, zeigt keinen Rapport, sondern ein Motiv sich scheinbar überlagernder Oval- und Ringformen, deren Farbgebung (u.a. Magenta, Rostbraun und Cadmiumgelb) auf die umgebende Raumfarbe hin abgestimmt ist. Da das Motiv angeschnitten ist und optisch über die Raumgrenze der Rotunde hinauszugehen scheint, entsteht die Illusion des rotierenden, sich zu den Rändern hin beschleunigenden (Teppich)Bodens, der die Barockarchitektur bedrängt und ihre Schwerkraft aufzulösen scheint. Die Einpassung der Bodenarbeit entspricht dabei demselben Montageprinzip, nach dem die großformatigen Bildwerke maßgerecht in die Wandflächen eingelassen sind oder den Fensterausschnitten des Barockschlosses vorgeblendet werden. Dennoch wirken die monumentalen Bildwerke, die großen kulissenhaften Schablonen gleichen, wie in das barocke Raumgefüge hineinmontiert. Während Katja Brinkmanns Malerei einem anderen Zeitbegriff huldigt und künstlerische Werte wie beispielsweise Geduld, Systematik, Konzentration und Intensität vermittelt, weist die Vorgehensweise bei der Aneignung des Raumes eher auf Methoden der zeitgenössischen Bildbearbeitung hin, die sich mit Begriffen wie “Ausschneiden” und “Einsetzen” umschreiben lassen.

Katja Brinkmanns Bilder pulsieren und attackieren. Gleichzeitig oszillieren sie zwischen Harmonie und Dissonanz. Ein Grund dafür mag vordergründig die eigenwillige Farbgebung sein, mit der die im Bild aufgenommene historische Palette des Schlosses konterkariert wird. In gleichem Maße erzeugen die angeschnittenen Bildformen auch hier die optische Illusion des Herausdrehens aus der Bildfläche und der rotierenden Entgrenzung und Erweiterung des Bildes in den Raum.

Sowohl in ihren Bildern als auch in den Entwürfen zur Bodenarbeit betont Katja Brinkmann das dynamische, rotierende Element, das sich auch in der Barockarchitektur als dramaturgisches Mittel finden lässt. Mit ihren malerischen und malerisch-plastischen Eingriffen erzeugt die Künstlerin visuelle Spannungsfelder, die sich aus gegenläufigen Bewegungsprinzipien, monumentalen Farbformen und einer ungewöhnlichen Farbkombination aufbauen. Diese setzt Katja Brinkmann als zeitgemäße Behauptung sowohl der erhabenen Barockarchitektur von Schloss Monrepos, dem Weißraum einer Galerie als auch dem städtischen Außenraum entgegen.

Susanne Jakob