Katja Brinkmann: o.T. (Wandbild), 2004
Kreisformen dominieren die Gemälde von Katja Brinkmann. Offene und geschlossene, im deckenden monochromen Farbauftrag oder im Farbverlauf von Hell nach Dunkel gehaltene, große und kleine, aufgestellte und liegende ovale, nie aber vollrunde Formen. Noch die reduziertesten Kompositionen leben von einer Spannung, die daraus resultiert, dass sie kein festes Zentrum, keine statische Bildmitte zu besitzen scheinen. Stellt man sich die ovalen Formen als rotierende Körper vor, würde man von einer Unwucht sprechen, von einer Kraft, die daraus resultiert, dass ihre Masse nicht rotationssymmetrisch verteilt ist.
Damit ist ein physikalischer Effekt beschrieben. Eine direkte sinnliche Wirkung geht auch von dem Wandgemälde in der fünften Etage des Gasag-Gebäudes aus, das Katja Brinkmann dort im dritten Jahr des Kunst im Bau-Wettbewerbs realisierte und das sich auf einer Länge von 18 Metern auf der linken Seite des Flures erstreckt, den man vom großen Treppenhaus aus betritt. Das Wandbild ist eine weitere Variation des Kreismotivs. Gleichzeitig reagiert es auf die Gegebenheiten des Ortes und bezieht den umgebenden Raum mit ein. So schließt diese Arbeit sowohl in der Form- als auch in der Farbwahl an die vorherigen Arbeiten an und formuliert gleichzeitig eine den Gegebenheiten des Ortes Rechnung tragende, neue Position.
Fünf große runde Formen lassen sich ausmachen, deren Durchmesser etwas größer sind als die Wand hoch und die demnach den zur Verfügung stehenden Raum fast zu sprengen scheinen. Durch kleinere, kreisartige und nach dem beschriebenen Kompositionsprinzip aus dem Zentrum gerückte Binnenformen entsteht eine komplexe Anordnung. Die Überlagerung der offenen Formen, die teils monochrom, teils in Farbverläufen und -übergängen gehalten sind, erzeugt den Eindruck von räumlicher Tiefe, von Formen im Vordergrund, die Ausblicke auf ein vermeintliches Dahinter zu erkennen geben. Ein Eindruck, der bei genauerer Betrachtung wieder aufgehoben wird, denn der vermutete Durchblick entpuppt sich, verfolgt man die weitere Entwicklung der Form, als Fläche, die einer anderen Form vorgelagert zu sein scheint. Auch ein einheitlicher Fluchtpunkt ist nicht auszumachen, jede Kreisform definiert vielmehr eine jeweils eigene Achse. Für den Betrachter, der sich dicht am Gemälde vorbei bewegt der Flur misst 1,80 Meter in der Breite folgt daraus, dass auch er sich im Gehen von einem perspektivischen Fluchtpunkt zum nächsten bewegt. Beim Passieren entstehen ständig neue Eindrücke, zumal das Bild in seiner Gesamtheit nicht frontal, sondern nur aus einer seitlichen Perspektive zu betrachten ist. Ergänzend zu den großflächigen Formen des Wandbildes, die sich wellenähnlich durch den Flur ziehen, tritt also die Bewegung des Passanten.
Der architektonische Bezug wird dadurch verstärkt, dass die Wandfläche von zwei Türöffnungen und einem Durchgang unterbrochen ist. Diese Negativformen sind fester Bestandteil der Komposition und bilden mit ihren rechtwinkligen Formen einen spannungsvollen Kontrast zum dominierenden Rund der Bildformen. Durch das Integrieren der eigentlichen Wandfarbe, die immer wieder als autonome Farbfläche in Erscheinung tritt, fügt sich das Gemälde auch farblich in die Umgebung ein, ohne sich jedoch anzupassen. Es wirkt vielmehr kontrastreich, wobei insbesondere der Hell-Dunkel-, als auch der Kalt-Warm-Kontrast zum Einsatz kommen. Mit blau, weiß, mint, rosa und schwarz überwiegen kalte Farben; selbst das vielfach verwendete Rot wirkt hier eher kühl.
Am auffälligsten sind die Partien, die aus aufwändig gemalten Farbübergängen bestehen von weiß nach blau zu weiß, von schwarz zu rot oder von schwarz über grün zu weiß. Sie kontrastieren die scharfkantig angelegten, wie ausgeschnitten wirkenden, monochromen Farbflächen. Es ist bemerkenswert, dass es gerade diese unscharfen Partien sind, die der Komposition und ihrem Betrachter Halt und Stabilität verleihen. Wie eine Art imaginativer Horizont zieht sich eine Linie durch das Gemälde, die zwar in der Höhe variiert, aber immer in der Waagerechten verläuft.
Das Wandgemälde, das Katja Brinkmann in der Gasag realisiert hat, ist eine abstrakte, raumbezogene Komposition, das sich ausschließlich auf die Wirkung und Wahrnehmung von Farbe und Form bezieht. Auf den Eindruck der Formen und der in ihnen schlummernden Bewegung, auf die Farben in ihrer Wirkung an sich und zueinander, auf Farbtemperaturen und Farbräume. Die große abstrakte Wandmalerei in der Gasag, die man viel zu schnell mit Selbstverständlichkeit hinzunehmen bereit ist, entpuppt sich als eine Herausforderung an seine Betrachter, als eine Aufforderung, die eigenen Sehgewohnheiten, die Erwartungen und Vorurteile über das vermeintlich Abgebildete in Frage zu stellen. Nichts ist hier, wie es scheint, der Kreis kein Kreis, die Tiefe keine Tiefe, der Ausschnitt kein Ausschnitt. Kein Abbild also, sondern lediglich gekonnter Verweis darauf, welche Wirkung Form und Farbe entfalten können.
Svenja Moor