Ralf Christophori, Wo die Bilder herkommen / in: Katja Brinkmann, 2001 / Hrsg.: Katja Brinkmann, Galerie helm/reiswig, Stuttgart

Wo die Bilder herkommen

Man fragt sich schon, wo diese pulsierenden Bilder herkommen. Ich habe mich das oft gefragt angesichts der Malereien von Katja Brinkmann, umgekehrt aber möglichst vermieden, die Künstlerin danach zu fragen. Ja, vielleicht will man es letztlich gar nicht wissen, will sich diese Offenheit eines Blicks oder die Möglichkeiten einer Zuschreibung nicht unnötig verbauen. Wiedererkennung und Verstörung wechseln sich ab, und dieses Kippmoment ginge verloren, wenn die visuelle Erfahrung allzu glatt, ohne Widerstände erfolgte.

Zweifelsohne gibt es Spuren, denen man folgen kann. Die Bilder Katja Brinkmanns geben monumentale Eiformen zu erkennen, Schlangenlinien, Kugeln, Planetenbahnen, den feurigen Schweif eines verglühenden Meteoriten. Aber das ist nur eine mögliche vorgestellte Realität, die wir uns zurechtlegen. Ein anderes Mal fühlt man sich erinnert an die grandios schrillen Wohnhöhlen, die Verner Panton Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre in beißenden Farben und haptischen Materialien realisierte: ein formal-existenzielles Ambiente, das in den meisten Fällen nur mit gemischten Gefühlen goutiert werden konnte. Dieser Eindruck wiederum bewegt möglicherweise nicht mehr als eine willkommene Retro-Nostalgie. Beruft man sich auf jüngere malerische Traditionen, so kolportiert Katja Brinkmanns Bildwelt einen gehörigen Widerspruchsgeist, der die Farbfeldmalerei in eine psychedelische Form zwingt. Eine Form, die umgekehrt nicht klarer, gezielter und ausgeklügelter sein könnte.

Beginnen wir von vorn, dann sind die Malereien, Aquarelle und Tuschezeichnungen Katja Brinkmanns streng genommen formale Variationen über ein Thema. Ein altes Thema vielleicht: das Verhältnis Figur – Grund. Aber dieses Verhältnis ist nie eindeutig lesbar. Die Formen und deren Ordnung verschlüsseln bewußt, wo die Figur aufhört und der Grund anfängt. Ein anderes Thema: der Raum in der Malerei. Aus genau demselben Grund ist dieser bei Katja Brinkmann ebenfalls nie eindeutig faßbar. Und noch ein Thema, das sie verfolgt: die Malerei als raumbildendes Element, und zwar nicht etwa als Verlängerung einer Architektur, sondern als deren integraler Bestandteil. Es sind also genaugenommen Variationen über mehrere Themen. In den großformatigen Malereien kann man sich diese unterschiedlichen Variationen wunderbar vergegenwärtigen. In ihre Collagen hat Katja Brinkmann die Malerei als raumbildendes Element buchstäblich hineinmontiert. Und zum ersten Mal überhaupt setzte sie dieses Thema in der Städtischen Galerie Backnang in die Tat um – in Form eines Teppichbodens. Zwei Jahre später, in der Galerie Helm/Reiswig, ist es eine wandfüllende, vierteilige Arbeit, die realiter das einlöst, was in den Collagen bereits angelegt war. Alle Fragen tauchen darin wieder auf: Figur – Grund, der Raum im Bild und die Malerei selbst als raumbildendes Element.

Damit wäre aber nur die formal-ästhetische Seite beschrieben, eine Annäherung an farbliche und kompositorische Gesetzmäßigkeiten, die regelmäßig und an entscheidender Stelle aufgebrochen werden. Katja Brinkmann konstruiert ihre Bilder sehr sorgfältig, sie sind vorbereitet und erfahren im Malakt selbst nur noch graduelle Korrekturen. Woher kommen aber diese Bilder? Keine künstlerische Aussage kommt aus dem Nichts – nicht einmal dasjenige Werk, welches die Aussage verweigert unter der Maßgabe, keine Angaben zu einem wie auch immer gearteten Titel machen zu wollen. Katja Brinkmanns Bilder tragen seit ein paar Jahren keine Titel mehr. Dennoch oder gerade deshalb fühlt man sich als Betrachterin oder Betrachter – mal mehr, mal weniger – genötigt, eigene Sichtweisen, Einschätzungen, historische Referenzen zurate zu ziehen, um gegenüber diesen Werken überhaupt angemessene Aussagen treffen zu können.

So müssen wir also jene Frage, woher die Bilder kommen, an uns selbst richten. Und wir sollten uns zuerst einmal verabschieden von dem Gedanken, unser Sehen, unser Blick sei eine rein optisch-physikalische Operation oder eine Größe, die sich auf reine Sinneswahrnehmung beschränkte. Das, was wir sehen, ist maßgeblich von dem geprägt, was wir wissen und was sich, wie Walter Benjamin 1931 bemerkte, aus einem „optischen Unbewußten“ speist. Benjamin meinte seinerzeit die Fotografie, und er meinte nicht weniger, die Fotografie und das optische Unbewußte mit der Psychoanalyse und dem „instinktiven“ Unbewußten in Verbindung bringen zu können. Aber gilt das auch für die Malerei? Rosalind Krauss hat mehr als sechzig Jahre später in ihrem gleichnamigen Buch darauf aufmerksam gemacht, daß dieses „optische Unbewußte“ keine subjektinterne, sondern eine externe Kategorie bezeichnet, ein visuelles Feld, das höchstens in Umkehrung der Projektionsrichtung als internalisierter Ausdruck eines kollektiven Bewußtseins verstanden werden kann. Ganz egal, wie man die Projektionsrichtung dreht und wendet, dieses Unbewußte ist Schuld daran, daß wir in Katja Brinkmanns Bildern Meteoriten, Panton oder die Farbfeldmalerei sehen wollen.

Man mag dies als Hinweis verstehen, daß streng genommen keines der Bilder nur um sich selbst kreist. Was wir zu sehen glauben, wird von außen an uns herangetragen, wir verarbeiten es und tragen es gegebenenfalls wieder nach außen. In Katja Brinkmanns Malereien wird dieser Hinweis doppelt wirksam: Man muß diesen Bildern, erstens, keinen Glauben schenken, denn sie zeigen niemals nur etwas, das schon vorher da gewesen wäre. Darüber hinaus scheinen sich, zweitens, ihre Malereien kaum mit der zur Verfügung stehenden Fläche des Bildgevierts begnügen zu wollen; sie sprengen den nicht vorhandenen Rahmen – und zwar kompositorisch wie gedanklich. Auf diesem Wege erfährt das „optische Unbewußte“ eine gleichermaßen dezidierte wie öffnende Richtung, die nie zu einer eindeutigen Aussage führt. Genau deshalb will man es auch gar nicht so genau wissen. Nur schauen. Den Blick reizen, bis das optische Unbewußte sich in psychedelischen Windungen jenseits der Bildfläche verliert.

Ralf Christofori