Regina Michel, Spiel mit der Wahrnehmung / in: refresh, 2009 / Hrsg.: Kunststiftung der ZF Friedrichshafen AG und Zeppelin Museum Friedrichshafen

Spiel mit der Wahrnehmung
Regina Michel im Gespräch mit Katja Brinkmann


RM: Katja, du beschäftigst dich in deinen Arbeiten mit grundlegenden Fragestellungen der Malerei: Was leistet Malerei? Wie verhalten sich Fläche und Raum? Wie verhält sich Farbe zu Form? Wo siehst du die zeitgenössische Relevanz?

KB: Seit Beginn der Malerei ist die Umsetzung des Dreidimensionalen in einen zweidimensionalen Bildraum, die Frage nach dem Umgang mit Räumlichkeit, mit Illusion und mit der durch den Bildträger begrenzten Bildfläche ein zentrales Thema. Zu Beginn meines Studiums habe ich Stillleben gemalt, Stillleben mit bedruckten Gegenständen wie Milch- und Apfelsafttüten, wobei mich besonders die Umsetzung der grafischen Muster und Schriften interessiert hat. Das Interesse am Ornamentalen war sozusagen von Anfang an ein Bestandteil meiner Arbeit. Daraus haben sich dann die Strukturen entwickelt, die ja bis heute ein wesentlicher Teil meiner Bilder sind. Ich habe mich dann von der Umsetzung des Gegenständlichen entfernt und eine Zeitlang mit rechtwinkligen, strukturierten Flächen experimentiert. Irgendwann kam dann das Interesse an der runden Form ins Spiel, zuerst ganz banal als Gegensatz zur rechtwinkligen Leinwand. Die Beschäftigung mit Gegensätzlichkeiten hat sich dann auf alle Ebenen der Malerei, wie Fläche und Raum, Fläche und Struktur oder Gegenständlichkeit und Ungegenständlichkeit, ausgeweitet. So hat sich allmählich eine ganz eigene Bildsprache herauskristallisiert, mit der ich nun seit langem arbeite und die ich dabei immer weiterentwickle. Gleichzeitig hinterfrage ich mein Vokabular aber auch permanent.

RM: Was reizt dich am Diskurs über Malerei und warum ist es dir so wichtig, die grundlegenden Aspekte der Malerei, wenn man so will, „werkimmanent“ mit Hilfe des Vokabulars der Malerei zu diskutieren?

KB: Mir geht es nicht darum, einen theoretischen Beitrag zum Diskurs über Malerei zu leisten, sondern um die Auseinander-setzung mit Malerei innerhalb des Bildes, mit Hilfe einer sinnlichen Bildsprache. Dabei ist mir wichtig, die ganze Bandbreite von Bildmitteln wie Farbe und Form, Fläche und Raum zu berücksichtigen und zu untersuchen. Gleichzeitig stelle ich die Bildaussagen wieder in Frage, in dem ich einen weiteren Weg, eine weitere Wahrnehmungsmöglichkeit mitliefere. So verführen die Formen zu Assoziationen, die im nächsten Augenblick schon wieder fallengelassen werden müssen. Was zunächst flächig erscheint, entwickelt bei längerer Betrachtung eine Räumlichkeit, die sich dann doch wieder auflöst. Einerseits suche ich nach einer Objektivierung der Bildsprache, die anhand der Mittel der Malerei eine Auseinandersetzung mit Malerei und Wahrnehmung ermöglicht. Andererseits gibt es auch einen subjektiven Anteil in meinen Bildern, der auf intuitiven Entscheidungen beruht. Dadurch bleibt immer auch etwas Rätselhaftes in den Bildern, ein Anreiz auch für meine eigene Lust am Schauen und Weiterarbeiten.

RM: Deine Bilder zeichnen sich durch ungewöhnliche Farbkontraste aus, die Farbpalette erinnert an die 1970er Jahre. Warum hast du dich für diese Farbgebung entschieden?

KB: Die Farbkontraste wähle ich häufig in der Nähe zum Komplementärkontrast, aber immer leicht verschoben. Die Farbigkeit an sich finde ich eher intuitiv, wobei für mich aber immer eine Mehrdeutigkeit entscheidend ist. Zum einen erscheinen die Farben sehr künstlich, das entspricht meinen Bildern, die ja künstliche Konstruktionen sind. Besonders spannend finde ich an der Farbauswahl, dass sie zum einen diese Künstlichkeit unterstützt, gleichzeitig wecken die Farben aber auch wieder Assoziationen an Naturhaftes, Organisches, was mit der Formgebung korrespondiert.

RM: Du planst deine Bilder sehr genau, bevor du mit dem Malen beginnst, überlässt nichts dem Zufall. Wie entstehen deine Bilder? Wie findest du deine Motive und wie setzt du sie in Malerei um?

KB: Meine Arbeiten entstehen von Bild zu Bild in einem relativ geschlossenen Prozess. Die Bildmotive entwickeln sich eins aus dem anderen, wobei immer auch neue Elemente und Formen hinzukommen. Früher habe ich meine Leinwände anhand von gemalten Skizzen vorbereitet. Dann bin ich dazu übergangen, die Arbeiten am Computer zu entwickeln. Dabei greife ich auch auf schon vorhandene Arbeiten und Bildelemente zurück, die ich digital weiterbearbeite. So entstehen große Serien von Entwurfsskizzen, in denen ich meine Bilder bis ins Detail plane, bis ich zu einem endgültigen Entwurf komme, der dann umgesetzt wird. Die präzise Vorplanung ist deshalb so wichtig, weil sich die einzelnen Farbflächen in meinen Bildern nicht überlagern. Jede einzelne Fläche besteht zwar aus vielen übereinandergelegten Farbschichten, die Formen jedoch sind nebeneinander ohne Überlagerungen angelegt, das heißt, es ist nur das gemalt, was man schlussendlich auch sieht. Während des Malprozesses kann ich die Form der Farbflächen also nicht mehr verändern. Die Auffassung des Bildes als Fläche ist mir wichtig.

Es kommt mir auch darauf an, dass meine Bilder gemalt sind und dass dies auch sichtbar ist, dass Farbe und Farbtiefe sinnlich präsent sind, deshalb klebe ich die Konturen zum Beispiel nicht ab, sondern male sie freihand. Dadurch erhalten sie eine gewisse Lebendigkeit.

RM: Auf den ersten Blick lassen die monochromen Flächen in deinen Arbeiten an Farbflächenmalerei denken. Gleichzeitig brichst du diese Assoziation sofort wieder, konfrontierst die flächigen Partien mit Farbverläufen, die eine räumliche Wirkung erzeugen, ovale und elliptische Formen scheinen sich immer wieder zu überschneiden. Was interessiert Dich an diesem Spiel mit der Wahrnehmung?

KB: Jedes meiner Bilder ist ein komplexes Ganzes, in dem die einzelnen Komponenten in einem engen Zusammenspiel stehen, sich gegenseitig bedingen. Es existiert keine Form an sich ohne die Farbe oder ohne die Struktur. Das ist ein wesentlicher Aspekt meiner Arbeit.

Vor allem interessiert mich das Hinterfragen von Wahrnehmung. Ich spiele dabei ganz bewusst mit Ambivalenzen, mit einer permanenten Irritation des Betrachters. Formen scheinen sich zu überlappen, obwohl sie nebeneinander gemalt sind, Strukturen sehen spontan oder gestisch aus, sind bei näherer Betrachtung aber mühsam aufgebaut. Es entsteht eine räumliche Illusion, der Betrachter wird aber immer wieder auf die gemalte Oberfläche des Bildes zurückverwiesen. Es ist mir wichtig, dass nichts isoliert, nichts absolut existiert. Alles wird immer wieder in einen neuen Zusammenhang gestellt und so hinterfragt, dadurch entsteht eine permanente Bewegung.

RM: In deinen Bildern wechseln die Bildelemente immer wieder ihre Position im Raum. Vordergrund und Hintergrund changieren.

KB: Wie gesagt, das Element der Bewegung ist ganz wichtig für meine Arbeit. Das fängt bei der Komposition an. Der Betrachter wird von einem Bildpunkt zum nächsten geführt, ohne dass es jedoch einen Mittelpunkt gibt, an dem er sich festhalten könnte. Die Bilder verführen so zu einer kreisförmigen Bewegung des Blickes, ohne diesem jedoch einen Ruhepunkt anzubieten.

RM: Der Betrachter gerät also in einen Bewegungssog, in einen Strudel, von dem er sich tragen lassen soll?

KB: Ein komplettes Eintauchen oder Sich-treiben-lassen ist in meiner Arbeit nicht möglich. Immer wieder aufs Neue wird eine Distanz zum Bild aufgebaut. Der Betrachter kann sich seiner Wahrnehmung oder Zuordnung nie wirklich sicher sein, er wird sich immer wieder seines eigenen Standpunktes außerhalb des Bildes bewusst. Das meine ich, wenn ich von einer permanenten Irritation spreche. Meine Arbeit hat dabei durchaus etwas Spielerisches und auch eine lustvolle Komponente.

RM: Neben den zum Teil großen Leinwandbildern hast du in den vergangenen Jahren auch immer wieder raumbezogene Arbeiten realisiert, wie die Wandarbeit in der Gasag in Berlin oder die Bodenarbeit in Schloss Monrepos in Ludwigsburg. Was verbindet die beiden Werkgruppen?

KB: Sowohl bei den Tafelbildern als auch bei den Wand- und Bodenarbeiten arbeite ich in der Regel mit einer begrenzten zweidimensionalen Fläche, die zum Illusionsraum wird, sei es die Leinwand, die Wand oder aber der Boden. Bei den Raumarbeiten ist diese Fläche jedoch nicht unbedingt rechteckig, sondern kann aufgrund von Wandvorsprüngen oder -öffnungen beschnitten sein. Ungeachtet der unregelmäßigen Form fasse ich Wand oder Boden genauso als Bildfläche auf wie eine Leinwand.

Im Flur der Gasag integrieren sich die Formen einerseits in das Raumgefüge, umfassen die Türöffnungen mit großer Selbstverständlichkeit, werden dabei aber von Wand, Decke oder Boden beschnitten und scheinen so die Dimension der Wand zu sprengen. Dadurch entsteht der Eindruck einer collagenhaften Einfügung, einer Applikation von „außen“ in den Raum. Mich interessiert dabei eine Balance zwischen Integration und Kontrast, eine Verschränkung von Raum und Bild, die in dem autonomen Tafelbild nicht gegeben ist.

RM: Weder bei der Bodenarbeit in Monrepos noch bei der Wandarbeit in der Gasag kann der Betrachter die Arbeit als Ganzes erfassen, er muss den Bildraum real durchschreiten. Durch die fehlende Distanz oder den fehlenden Überblick, aber auch durch die wechselnden Fluchtpunkte befindet sich der Betrachter unmittelbar im Bild. Welche Rolle spielt der Betrachter in deinen raumbezogenen Arbeiten?

KB: Die wechselnden Perspektiven, die vom Betrachter aktiv eingeforderte Bewegung reizen mich an den Arbeiten im räumlichen Zusammenhang. Und mich interessiert dabei die Veränderung des Raumes durch meinen malerischen Eingriff. Das Spannende, die Herausforderung bei der Wandarbeit für die Gasag, war der Ort, der enge Flur. Dass das Bild nie als Ganzes zu sehen ist, dass es keinen festen Standpunkt gibt, dass das Bild immer wieder neu aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden muss, habe ich in meiner Arbeit thematisiert. Die Formen schieben sich über die gesamte Länge des Flures, je nach Laufrichtung und Blickwinkel scheinen sie runder oder ovaler, sich in die eine oder andere Richtung auszudehnen oder zu bewegen.

Bei der Bodenarbeit in Monrepos war es ähnlich. Das Teppichbild hat die gesamte Rotunde des Barockschlosses ausgefüllt und die Formen schienen sich unter den Wänden fortzusetzen. Der Betrachter musste den Teppich betreten und befand sich so mitten im Bild – in den Formen, im Farbraum –ohne sich einen Überblick verschaffen zu können. Der Betrachter musste sich also auf das Bild auch körperlich einlassen. Wie auch in den großformatigen Leinwandarbeiten erhalten die Farben, Formen und Strukturen durch ihre Dimensionen eine regelrecht körperliche Präsenz.

RM: Wenn du von Bewegung sprichst, von der Notwendigkeit, den Standpunkt zu wechseln, um das Bild zu erfassen, drängt sich mir die Assoziation der Horizonterweiterung im übertragenen Sinne auf.

KB: Ich bin überzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung, Denken und Bewegung gibt. Bewegung ist meiner Meinung nach eine wichtige Voraussetzung, um die eigene Position oder die Verhältnismäßigkeit von Dingen immer wieder neu zu überprüfen. So wird nicht nur das konkret Gesehene relativiert und hinterfragt, sondern auch die Haltung verändert und ein Perspektivenwechsel ermöglicht.