ELKE KEIPER: SARUUL TAL / IN: KATJA BRINKMANN SARUUL TAL, 2020 / HRSG: STÄDTISCHE GALERIE WALDKRAIBURG

Saruul Tal

In der Geschichte der Kunst ist die Entwicklung der Malerei häufig von äußeren Einflüssen mitbestimmt, die nicht geplant oder vorhersehbar waren. Neue Erkenntnisse in der Wissenschaft, Begegnungen mit frischen visuellen Phänomenen oder das Fremde außereuropäischer Kulturen spielte dabei oft eine besondere Rolle, erlaubten sie doch im durchaus wörtlichen Sinne einen Perspektivwechsel.

Auch das vorliegende Ausstellungs- und Katalogprojekt in der Städtischen Galerie Waldkraiburg entfaltet sich vor dem Hintergrund intensiver sinnlicher Eindrücke und Erfahrungen, die sich der Begegnung mit einer einzigartigen, von der Künstlerin bis dahin ungesehenen Landschaft verdanken. Es stellt die neuesten Bilder und erstmals auch Fotografien von Katja Brinkmann vor, die in der Mongolei entstanden sind, wohin die Künstlerin seit einigen Jahren regelmäßig reist. Ausgangspunkt für ihre oft viele Monate dauernden Aufenthalte ist zunächst die Hauptstadt Ulaanbaatar, wo sie zuletzt auch zwei langfristige Lehraufträge an der dortigen Kunstakademie angenommen hat. Von dort aus unternimmt Katja Brinkmann jedoch immer wieder ausgedehnte Ausflüge in die mongolische Steppe oder lebt eine Zeitlang als Gast bei einer Nomadenfamilie auf dem Land. So zeigt die Ausstellung auch eine Auswahl an Landschaftsfotografien, die Katja Brinkmann von ihren Reisen mitgebracht hat und die auf besondere Weise mit ihrer Malerei in Dialog treten. Denn obwohl die Malerin an ihrer bisher üblichen ungegenständlichen Arbeitsweise festhält, werden zahlreiche Bezüge, Analogien und Schnittmengen zwischen den Bildern und den Fotografien deutlich. Das liegt sicherlich daran, dass Katja Brinkmann sich auch umgekehrt bei ihren Fotoarbeiten nicht primär für eine im handwerklichen Sinne besonders gelungene Landschaftsfotografie interessiert, sondern ihr Augenmerk vor allem den Farben, Formen und den einzigartigen Lichtstimmungen gilt.

„Ich mache die Fotos als Malerin.“

Aber treten wir nochmal einen Schritt zurück: Katja Brinkmanns Malpraxis verbindet abstrakte, räumliche Kompositionen mit einer eigenwilligen Farbpalette. Und das gilt auch für die neuesten, hier vorgestellten, mit Acryl auf Papier gemalten Bilder. Obwohl das benutzte Formenvokabular die Künstlerin im Prinzip bereits seit vielen Jahren begleitet, hat sich im Vergleich zu vorhergehenden Arbeiten hier nun etwas verändert. Das mag an ihrer neuen Arbeitsweise liegen. Denn anders als frühere Werke entstehen diese aktuellen Arbeiten nicht nach Entwürfen, die am Computer vorgeplant wurden. Vielmehr arbeitet Katja Brinkmann nun prozesshaft, das Bild entwickelt sich direkt auf dem Papier. Lediglich eine Mittellinie wird vorgegeben (mit Blick auf ihre Fotografien kann man hier auch gerne von Horizontlinie sprechen), wobei deren Form stark variiert und mal weit ausschwingt oder sich als flache Lichtfuge formuliert. Der Bildraum selbst wird aus halbtransparenten Farbbändern entwickelt, die sich teilweise überschneiden und aus sich selbst heraus zu leuchten scheinen. Oft in starken Kontrasten bis hin zur Verwendung von Komplementärfarben ausgeführt, versetzen sie den gesamten Bildraum in Schwingung, bis sie sich an der Horizontlinie zu brechen scheinen. Alles andere entsteht im direkten Zugriff und aus dem Kalkül eines gelenkten Zufalls: Tropfen am Rand des Pinselstrichs (dessen Breite die jeweiligen Farbbahnen vorgibt), Transparenzen, die mal schwächer oder stärker ausfallen, da sich der Trocknungsprozess der Farben nicht genau vorhersagen lässt, oder ungeplante Binnenstrukturen sind das künstlerische Material mit dem Brinkmann hier arbeitet. So bleibt das Bildergebnis lebendig, offen und trotz der ausdrücklichen Ungegenständlichkeit doch im weitesten Sinne landschaftlich und erhaben.

„Mir geht es nicht darum, etwas Konkretes nachzubilden, sondern eher der Idee von Landschaft zu folgen.“

So erinnern die runden, geschwungenen Formen im Bild an die weitgeschwungenen Hügelrücken der südlichen Mongolei. Auch hat die Farbigkeit der mongolischen Landschaft als Inspiration bei der Farbauswahl gedient, ohne dass diese jedoch als ein direktes Zitat übernommen wurde. Allerdings spielt die besondere Lichtstimmung der weiten Steppe im Wandel der Jahreszeiten eine zentrale Rolle. Das macht sich besonders an der Luzidität der Farbbänder bemerkbar, oder wird an der häufigen Verwendung von Weiß, als Auslassungen oder als deckende Farbe, deutlich. Einen besonderen Höhepunkt erfährt die Arbeit von Katja Brinkmann schließlich anlässlich eines Kunst-Festivals in der Wüste Gobi: In einem performativen Akt verwendet Brinkmann neben den Acrylfarben vor Ort gefundene Erden für ihre Bilder, die nun einen satten, eben erdigen Klang annehmen. Ein glücklicher Moment, in dem sich Materie und Licht, Reales und Imagination, Natur und Kunst treffen und schließlich im Bild manifest und erfahrbar werden.

Wenn Katja Brinkmann diesen Katalog und die Ausstellung nun „Saruul Tal“ nennt, was auf Deutsch so viel heißt wie „weite, lichte Steppe“, so bezieht sie sich auf ein berühmtes, traditionelles mongolisches Lied mit gleichem Titel. Es beschreibt nicht nur die Schönheit der realen Landschaft, sondern auch die Beschwerlichkeiten und existenziellen Herausforderungen eines Lebens in und mit ihr. Angesichts der übermächtigen Natur den Dingen tiefer nachzuspüren ist eine Haltung, die sich auch in den Fotografien vermittelt. Vor diesem Hintergrund macht das Nebeneinander von Malerei und Landschaftsfotografien nochmal besonders deutlich, wie die Begegnung mit der Weite der mongolischen Steppe und die Welt der Nomaden, mit ihren typischen Farben und Mustern, auf die ausdrücklich ungegenständliche Arbeitsweise der Malerin eingewirkt haben. Dass Katja Brinkmann trotz alledem in ihrer neuesten Arbeit ganz bei sich selbst bleibt, zeigt, dass es hier nicht um eine folkloristische Aneignung geht, sondern um ein intensives Erleben und einen nachhaltigen Eindruck und damit auch um den starken Einfluss, dem sich die Malerin in der Begegnung mit der großartigen und einzigartigen mongolischen Landschaft nicht entziehen konnte. Dass bei diesem Prozess sowohl höchst intensive und persönliche Malereien entstanden sind, als auch spannende und attraktive fotografische Bilder, zeigen Ausstellung und Katalog.

Elke Keiper