Dr. Stephan Berg, Bildertaumel / in: Katja Brinkmann – Bilder und Montagen, 2002 / Hrsg.: Heinrich Schmid GmbH & Co. KG, Reutlingen

Bildertaumel

Eine der wesentlichen Fragestellungen, die Bilder seit jeher beschäftigt, betrifft das Verhältnis von Fläche und Raum, das in ihnen verhandelt wird. Dabei lässt sich leicht vergröbernd behaupten, dass die Entwicklung einer glaubwürdigen Räumlichkeit im Bild seine Nähe zu unserer Erfahrungswirklichkeit befördert, während die Evozierung seiner Flachheit die selbstbezügliche Abstraktheit des Bildplans betont. Die radikale Zweidimensionalität, welche die Malerei des 20. Jahrhunderts über weite Strecken dem Bild verordnete und als endgültigen Sieg der Moderne über Illusionismus und mimetischer Abhängigkeit von der Realität feierte, hat sich aus heutiger Sicht nicht als Vollendung und damit Ende der Malerei erwiesen, sondern als ein Nullpunkt, der notwendig erreicht werden musste, um von dort aus neue Bildmöglichkeiten zu erproben. Inzwischen – das folgt zwangsläufig daraus – kann man die Qualität gemalter Bilder nicht mehr danach beurteilen, ob sie im Sinne eines solchen Nullpunkts zu einem grundsätzlichen Ergebnis kommen können, eben weil dies historisch zur Genüge bewiesen wurde. Interessanter erscheint die Frage, wie Malerei mit einer Bildwirklichkeit umgeht, für die absolute Flachheit im Sinne des Moderne-Avantgarde-Theorems ebenso obsolet geworden ist, wie emphatisch vorgetragene mimetische Räumlichkeit.

Die Beurteilung einer künstlerischen Situation, in die man als Zeitgenosse dieser Entwicklungen selber verstrickt ist, ist immer problematisch. Aus der Beobachtung der gegenwärtigen Lage ließe sich aber immerhin mit der gebotenen Vorsicht die Behauptung gewinnen, heutige Malerei realisiere ihre Ziele – in Bezug auf Bildtiefe oder -flachheit – mehr oder minder auf eine paradoxe Weise, nämlich aus einem Ambivalenzakt heraus, der beides zugleich formuliert und damit beide Möglichkeiten als ebenso fragil wie letztlich virtuell erscheinen lässt.

Was hier mit Blick auf die international einflußreiche Bildsprache beipielsweise von Mary Heilman, Juan Uslé, David Reed, Jonathan Lasker oder Bernard Frize gesagt wird, gilt auch für die Arbeiten der in Berlin und Stuttgart lebenden Malerin Katja Brinkmann. Es ist eine Malerei, die vor Farbigkeit und bildprogrammatischer Entschlossenheit nur so vibriert. Bestimmende Elemente in den zum Teil ausserordentlich großformatigen Arbeiten sind sich vielfach überschneidende Oval- und Eiformen, die sich bisweilen der Kreisform annähern, ohne diese je tatsächlich zu formulieren. Unterstützt wird diese suggestive Dominanz der Formen durch eine kraftvolle, fast bissig wirkende Farbigkeit. Da stösst knalliges Orange auf glühendes Rot. Plombenziehend süsses Rosa trifft auf synthetisches Hellblau und Pfefferminzgrün lässt sich die Nachbarschaft zu giftig leuchtendem Violett gefallen. Alle Farben scheinen möglich, solange ihnen nichts Naturhaftes anhaftet, sie ihre Herkunft aus dem Geist der Künstlichkeit klar bekennen.

Durchaus möglich, dass ihnen dabei ein leichter Geruch nach dem plastikbunten, organischen Runddesign der 6oer und 7oer Jahre und seiner Lust an psychodelischer Traumsurrealität anhaftet. Aber das ist nicht entscheidend, allenfalls ein willkommener Nebeneffekt. Wichtiger ist, dass Bildformen und -farben von allem Anfang an klar machen: Wir sind nicht von dieser Welt. Aber von welcher dann, könnte der verunsicherte Betrachter fragen, der sich vom Strudel der offensiv farbigen Ovale so deutlich aufgefordert fühlt in ihnen allerlei, womöglich Gegenständliches zu entdecken? Nun, die Frage bleibt ein Stück weit unbeantwortet, denn Ambivalenz gehört zum Wesen dieser Malerei und ihrer Farben und Formen. Einerseits verweisen sie auf ihre eigene Wirklichkeit, andererseits loten sie lustvoll die Möglichkeiten mimetischer Referenz aus, denen sie wiederum, mit Verweis auf ihre schillernde Synthetik, lächelnd eine lange Nase zeigen.

Es geht also nicht zuletzt darum das Bild aus der sicheren, aber eben auch etwas langweiligen Ecke reiner Selbstbezüglichkeit hervorzulocken, ohne es andererseits an die Mechanik des Abbildhaften auszuliefern. Dies gelingt der Malerei Katja Brinkmanns, indem sie sich auf allen Ebenen destabilisiert, ohne deswegen auseinanderzubrechen. Das zeigt zunächst ein Blick auf die Malfaktur. Auf allen Bildern stellt die Künstlerin mit nüchtern-glatten monochromen Malpassagen einerseits und fast aquarellartig verlaufenden, wolkig-weichen, streifigen Schlieren andererseits, wie in einer Art Laborversuch zwei Malweisen gegeneinander. Damit scheint zunächst eine simple Kontrastierung gesetzt, die – wiedermal könnte man sagen – die Dichotomie zwischen subjektiver Setzung und abstrakter Objektivität auslotet. Ein genauerer Blick auf die Bilder belehrt schnell eines Besseren. Denn das vermeintliche Ungefähr der wolkig ausfransenden Bildstreifen erweist sich als äusserst elaborierte und genau kalkulierte Malerei, die eine Spontaneität vortäuscht, die ihr nur in minimalen Dosen zugestanden wird. So gewinnt sie eine souveräne Kühle, die sie in die Nähe der monochromen Passagen rückt, die ihrerseits etwas von ihrer technisch erscheinenden Faktur verlieren, wenn man sich genauer anschaut, wie Katja Brinkmann die Übergänge zwischen ihnen gestaltet. Statt Hard-Edge-Entschlossenheit zeigt sich hier eine an die kalten Aureolen von Neonreklamen erinnernde vibrierende Unschärfe, die das eine Farbfeld in das nächste überleitet. Diese aus der Ferne wie gesprayt wirkende Übergangszone entpuppt sich, von Nahem betrachtet – als kalkuliert desillusionierende Malerei einzelner abgestufter Zonen, die einen Farbübergang eher mühsam herbeistottern als flüssig und elegant zu vollziehen. Wir sehen: Die Konstruktion einer Illusion, die sich selber enttarnt, noch bevor sie überhaupt ins Werk gesetzt wurde.

Während diese weichen Übergänge der vermeintlichen Ebene des Bildfonds vorbehalten sind, findet man eine unmißverständliche, kategorische Schärfe der Malkanten dort, wo sich die Ovalformen überschneiden. Diese ist schon deswegen notwendig, weil erst dadurch der Eindruck entsteht, die Formen würden sich tatsächlich überlagern, also ein räumliches Davor und Dahinter erzeugen. In Wirklichkeit aber ist alles auf diesen Bildern auf der gleichen Ebene gemalt. Das bedeutet natürlich, dass jede Malentscheidung bevor das eigentliche Bild entsteht, in vielen Vorab-Skizzen präzise festgelegt wurde. Dennoch vermitteln Brinkmanns Arbeiten nichts weniger als die Atmosphäre mechanischer Programm-Malerei. Im Gegenteil: Nicht nur die pure malerische Lust strahlt aus diesen Versuchsanordnungen, sondern auch eine erstaunlich produktiv verunsichernde Kraft. Beim Versuch, das schleifenziehende Kreisen der Bilder nachzuvollziehen, gerät der Betrachter in einen Strudel des Sehens einen farbleuchtenden Malstrom, der ihn auf eine Umlaufbahn zieht, auf der sich die Flächigkeit des Bildes blitzschnell in saugende Raumtiefe verwandelt, um ihn dann wieder zurückprallen zu lassen. Und während er noch versucht aus alldem schlau zu werden, ist er schon tief drin im nächsten Wirbel, und beschließt schlußendlich, erschöpft aber nicht unglücklich, sich dem Rausch des Bildes zu ergeben.

Die Verwirrung über den Status des Bildes und seine Ambivalenz zwischen Raumwirbel und Flächenopulenz steigert die Künstlerin konsequent in ihrem neuesten Projekt für das Schloss Monrepos. Während sie früher Fotocollagen herstellte, die ihre Malerei in möglichen Raumsituationen zeigte, und dabei den Illusionscharakter dieser Konstellationen immer sichtbar hielt, wird nun die Malerei erstmalig real in eine bestehende Architektur integriert. Ausgangspunkt ist dabei die barocke Anlage des Schlosses, deren Spiel mit den Momenten der Bewegung, Raumillusion und Täuschung der Betrachterperspektive vielfältige Parallelen zu Brinkmanns Bildkonzepten aufweist. Das gewaltige Teppichbild in der Rotunde des Schlosses ist nicht nur der bisher am weitesten gehende Versuch der Künstlerin, das Bild zum begehbaren Environment zu machen, es destabilisiert die Sicherheit des Betrachters auch in einem doppelten Sinn: Ausgeliefert an das zentrumslose und sich zum Rand des Bildes zentrifugal beschleunigende Kreisen der Ovalformen, die sich selbst in einer architektonischen Rundform befinden, versetzt ihn die Bilddynamik in ein metaphorisches Schleudern, das zudem noch verstärkt wird durch das Fehlen eines Standpunktes, von dem aus der Betrachter die gesamte Arbeit überblicken kann. Ständig mitten im Bild, bleibt er doch immer ein Stück weit draussen, auf der Suche nach einem eindeutig justierbaren Verhältnis zwischen ihm und dem Bild, das sich nicht mehr herstellen lässt.

Komplettiert wird dieser breit angelegte Angriff auf die Eindeutigkeit des Bildes und unserer Wahrnehmungsstrukturen durch Bildinstallationen in der Enfilade und den an die Rotunde anschließenden Viereckräumen, in denen die Malerei zu den Farben der Wandtapeten und den Spiegeln in Beziehung gesetzt wird. Vor die Fenster der Enfilade, die etwa die Größe der vorhergehenden Türen haben, stellt Katja Brinkmann Bilder, welche die Fensteröffnung vollständig ausfüllen. Fast sechshundert Jahre nach Albertis berühmter Forderung, ein Bild solle wie ein Fenster in die Wirklichkeit sein, stellt sich das Bild selbstbewußt vor das Fenster, durch welches wir die Realität sehen könnten, und entwirft sich so als Spiegel seiner selbst. Wo wir auch hinschauen, die Bilder sind immer schon da, in einer Totalität und einem eng verzahnten Referenzsystem, das uns nur zwei Möglichkeiten lässt: Aussen vor zu bleiben oder sich in einen Wirbel hineinziehen zu lassen, der die klassischen Verhältnisse zwischen Bild, Raum und Betrachter zugunsten einer neuen gleitenden Relativität auflöst. Es liegt an uns, wofür wir uns entscheiden.

Stephan Berg